Liebe Schwestern und Brüder,
an den Künstler Christo und seine Frau Jeanne-Claude können sich bestimmt viele von Ihnen noch gut erinnern, d. h. vor allem an deren inzwischen legendäre Verpackungen. 1995, noch vor dem Umzug der Bundesregierung wurde das Berliner Reichstagsgebäude auf diesem Weg weltweit bekannt. Im letzten Jahr, schon nach seinem Tod, aber nach seinen Skizzen, ließ sein Neffe den Triumphbogen in Paris unter Tausenden Quadratmetern Stoff so verschwinden, dass die Konturen noch deutlich sichtbar blieben. Christo wollte mit seinen Verhüllungen die Neugierde wecken. Er war überzeugt: „Kunst kann vermeintlich tote Körper beleben.“
Mit dem heutigen Sonntag werden in unseren Kirchen die Kreuze mit violetten Tüchern verhüllt. Damit wird eigentlich das gleiche Ziel verfolgt. Jetzt, da das Kreuz unseren Augen entzogen ist, sollen uns seine Konturen noch tiefer zu Herzen gehen. Vielleicht sehen wir sehen jetzt mit anderen Augen seine wohltuende Art, wie er auf Menschen zugeht und sie Gottes Nähe spüren lässt. Im Tagesevangelium betrifft das eine Frau, die schwere Schuld auf sich geladen hat und trotzdem nicht verurteilt, geschweige denn bestraft wird.
Am Karfreitag wird das Kreuz nachmittags um 15 Uhr – zur Todesstunde des Herrn – mit dem Ruf „Seht das Holz des Kreuzes, daran gehangen das Heil der Welt.“, langsam wieder enthüllt, wie ein großes Kunstwerk, das der Öffentlichkeit zum ersten Mal gezeigt wird. Wenn wir dann sagen könnten, jetzt geht mir neu auf, wie konsequent Jesus seinen Weg gegangen ist und dass er die Liebe bis zum Schluss durchgehalten hat – kein einziges böses Wort von ihm in der ganzen Passion. Wenn wir dann sagen könnten, jetzt wird mir wieder neu bewusst, wie sehr sich Jesus mit den Leidenden und Geschwundenen dieser Welt solidarisiert und dass wir, die wir seine Nachfolger sind, gar nicht anders können, als es ihm gleichzutun. Ja, das „Fasten der Augen“ kann unseren Blick schärfen für die „Passion“ Jesu, seine Leidenschaft für uns und für die Menschen, die heute ihr Kreuz zu tragen haben.
Eine gute Zeit wünscht Ihnen Ihr Pastor Peter Scheiwe