Die Macht der Sprache
Wer gehört zu uns und wer nicht? Wir erleben immer wieder Situationen, in denen man aufgrund bestimmter Merkmale sehr schnell weiß, ob jemand ‚zu uns‘ gehört oder nicht. Die Unterscheidungsmerkmale können dabei sehr verschieden sein: manchmal reicht Kleidung, Sprache oder ein bestimmtes Verhalten aus. Nehme ich eines dieser Kennzeichen als vertraut wahr, weiß ich: auch einer von uns!
Im Sonntagsevangelium erleben wir Johannes, einen der zwölf, irritiert, als er Jesus berichtet: „Meister, wir haben gesehen, wie jemand in deinem Namen Dämonen austrieb; und wir versuchten, ihn daran zu hindern, weil er uns nicht nachfolgt.“ Denn raubte da nicht ein fremder Exorzist der Jüngergemeinde etwas von ihrem Attraktivsten und Überzeugendsten, die Macht, im Namen ihres Meisters Freiheit und Heilung vermitteln zu können? Vielleicht waren die Jünger sauer, weil der unbekannte Wundertäter die Bedeutung der Jüngerschar nicht würdigt, weil jemand „uns“ nicht nachfolgt (wäre es um Jesus gegangen, hätte hier „dir“ gestanden) und machtvolle Taten vollbringt.
Jesus reagiert auf die Schilderung nicht mit Exklusivrechten an seinem Namen, er durchbricht vielmehr direkt die Ausgrenzung: Entscheidend ist die Grundeinstellung der einzelnen zu ihm, nicht die Gruppenzugehörigkeit zu den Jüngern. Denn wer durch ihn inspiriert Gutes tut, kann über ihn nicht so leicht schlecht reden. „Denn wer nicht gegen uns ist, der ist für uns.“
Jesus warnt in seinen Ausführungen mit sehr drastischen Bildern davor, jemanden in der Gemeinde zu Fall zu bringen, sodass dieser den Glauben an Jesu und die Nachfolge Jesu aufgibt. Die christliche Gemeinschaft hat die Worte vom Mühlstein und vom Abhauen dieses oder jenen Körperteils nie wörtlich verstanden, sondern ganz und gar gemäß der Logik unseres menschlichen Redens. Wenn wir beispielsweise sagen: „Mich zerreißt es vor Wut“, dann zerreißt es uns eben nicht, sondern wir bringen zum Ausdruck, dass unsere Wut so groß ist, dass sie jedes normale Maß übersteigt. Wir verwenden solche Bilder, um auszusprechen, was uns durch und durch geht und im tiefsten Inneren aufrührt.
Mit dieser Bilderwahl will Jesus uns aufrüttelten, geht es doch um nichts Geringeres als einen wesentlichen Kern christlichen Mensch-seins. Man kann kaum eindringlicher vor dem Bösen warnen als das Jesus im heutigen Evangelium tut. Denn es geht um unser Bestehen vor Gott, an dem Jesus alles gelegen ist. Jesu Ruf zum Entschiedensein für das Reich Gottes, also für das Gute, schränkt unsere Freiheit nicht ein. Im Gegenteil: das Evangelium kennzeichnet eine Großzügigkeit, wie wir Menschen untereinander nur selten gewähren: Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns. Jesu Großzügigkeit kann uns anstiften: Vielleicht entdecken wir dann mehr, das wir vorher übersehen haben.
Ihre Karin Lücke
Pastoralreferentin